Dienstag, 23. August 2011

Der Staat bin ich

Gestern lief im Kino „Babylon“ (Berlin-Mitte) der Dokumentarfilm „Deutschland – Endstation Ost“ aus dem Jahre 1964 (Regie: Frans Buyens). Mein erster Eindruck danach – ziemlicher Propagandaschinken. Irgendwie blieb aber ein Körnchen Zweifel übrig: War die Zustimmung der DDR-Bevölkerung zum sozialistischen System trotz Mauerbau Anfang/Mitte der 60er Jahre vielleicht doch mehrheitlich? Im Film betonten mehrere der Protagonisten, dass sie die Entwicklung in ihren Betrieben mitbestimmen. Und sich als Glied des Staates verstehen. War die „Einmischung von unten“ zumindest damals nicht nur Propaganda?
Ich habe die Welt 1964 noch mit Kinderaugen betrachtet und kann keine eigenen Erfahrungen vorweisen.

In den 70er und 80er Jahren sollte ich den sog. demokratischen Zentralismus als sozialistische Demokratie ERLEBEN. Wobei die Wortkombination „demokratischer Zentralismus“ in etwas so sinnig ist wie „soziale Marktwirtschaft“. Basisdiskussionen wurden von oben „angeregt“; Vorschläge, Hinweise und Kritiken zumindest mit Argwohn betrachtet. Ein persönliches Beispiel: Anfang der 80er hatten sich einige Nachwuchswissenschaftler (so die offizielle Bezeichnung) in meinem Wissenschaftsbereich zusammengefunden, um über die Kategorien „Eigentum“ und „Entfremdung“ zu diskutieren (Peter Ruben hatte die Debatte angestoßen). Dies ohne staatliche Weisung, nach Dienstschluss, aber in den Räumen der Hochschule. Mit der Zustimmung der Leitung verbunden war dann die Anwesenheit eines „Protokollanten“.
Generell war es nicht verwunderlich, wenn sich die Mehrheit der DDR-Bevölkerung ihre private Nische suchte. Der Staat – das waren die da oben. Zumal sich SED-Kreissekretäre als Nachbildung von Ludwig XIV. gefielen (ich weiß, dass obiges Zitat ihm fälschlicherweise zugeschrieben wird).

Im Rückblick auf die letzten Jahre der DDR muss Rousseau zugestimmt werden: „Sobald man bei Staatsangelegenheiten die Worte hören kann ‚Was geht es mich an?’, kann man darauf rechnen, dass der Staat verloren ist“. *
25 Jahre nach Aufführung des obigen Dokumentarfilmes hatte der DDR-Staat verloren.

*Jean-Jacques Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des politischen Rechts


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